Das ABCB1-Gen ist ein zentrales Element für die Wirkung und Verträglichkeit vieler Medikamente. Dieses Gen codiert für das sogenannte P-Glykoprotein, eine Pumpe, die in Zellen aktiv wird und bestimmte Stoffe aus ihnen heraustransportiert. Die Wirkung dieser Pumpe ist besonders in der Leber, den Nieren und im Darm von großer Bedeutung, weil sie verhindert, dass Medikamente in hohen Konzentrationen in den Blutkreislauf gelangen. Variationen im ABCB1-Gen können jedoch die Funktion der Pumpe beeinflussen und somit auch die Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Medikamenten.
Das ABCB1-Gen und seine genetischen Varianten
Das ABCB1-Gen ist auf Chromosom 7 lokalisiert und weist verschiedene genetische Varianten, sogenannte Polymorphismen, auf. Diese sind insbesondere im Bereich des Single-Nukleotid-Polymorphismus (SNP) rs1045642 bekannt und gut erforscht. Laut SNPedia und ClinVar treten bestimmte Varianten des ABCB1-Gens in etwa 30–50 % der Bevölkerung auf, je nach ethnischer Herkunft. Diese Häufigkeit zeigt, dass genetische Unterschiede in der Funktion des ABCB1-Gens keine Seltenheit sind und daher in der Pharmakologie beachtet werden sollten.
Genotypen und deren Auswirkungen auf die P-Glykoprotein-Funktion
Menschen können unterschiedliche Genotypen des ABCB1-Gens aufweisen, die entweder normal, heterozygot oder homozygot für bestimmte Varianten sein können. Diese Genotypen wirken sich direkt auf die Funktion der P-Glykoprotein-Pumpe aus:
- Homozygot normal (TT): Menschen mit diesem Genotyp besitzen eine „Standardversion“ des Gens, was eine normal funktionierende P-Glykoprotein-Pumpe bedeutet. Medikamente werden wie erwartet aus dem Körper transportiert, und die Wirkstoffkonzentration im Blut entspricht den Standardannahmen.
- Heterozygote Träger (CT): Heterozygote Personen haben eine Variante des Gens und weisen oft eine reduzierte Aktivität der P-Glykoprotein-Pumpe auf. Das bedeutet, dass Medikamente langsamer ausgeschieden werden können und höhere Konzentrationen im Blut erreicht werden. Dies kann die Medikamentenwirkung verstärken, aber auch das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen.
- Homozygot betroffen (CC): Bei diesem Genotyp ist die Aktivität der P-Glykoprotein-Pumpe stark verringert. Die betroffenen Personen haben oft eine erhöhte Wirkstoffkonzentration im Blut, da die Pumpe die Medikamente weniger effektiv abtransportiert. Dies kann zu einer stärkeren Wirkung und einem erhöhten Nebenwirkungsrisiko führen.
Vorteile der ABCB1-Mutation: Wirkung bei bestimmten Medikamenten
Die Mutationen im ABCB1-Gen können auch positive Auswirkungen haben, insbesondere bei der Behandlung mit Antibiotika oder Krebsmedikamenten. Eine schwächere P-Glykoprotein-Funktion kann dazu führen, dass mehr des Medikaments im Körper verbleibt und damit seine Wirkung erhöht wird. Einige Krebsmedikamente, die in der Regel schnell von der Pumpe ausgeschieden werden, verbleiben länger in den betroffenen Zellen und können dort eine intensivere Wirkung entfalten. In einigen Fällen bedeutet dies, dass niedrigere Dosierungen wirksam sind, was das Nebenwirkungsprofil verbessern kann.
Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass Patienten mit einer ABCB1-Genmutation empfindlicher auf bestimmte Antibiotika reagieren. Die stärkere Medikamentenwirkung kann zwar therapeutische Vorteile haben, erhöht aber auch das Risiko für Nebenwirkungen, insbesondere bei Medikamenten mit enger therapeutischer Breite.
Medikamente mit erhöhtem Nebenwirkungsrisiko bei ABCB1-Varianten
Betroffene Patienten können bei einer Vielzahl von Medikamenten stärkere Nebenwirkungen erleben. Dazu zählen insbesondere:
- Antidepressiva: Medikamente wie Amitriptylin und Paroxetin können in höheren Konzentrationen zu stärkeren Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Übelkeit führen.
- Schmerzmittel: Opioide wie Morphin werden bei Menschen mit verringertem P-Glykoprotein-Abbau langsamer ausgeschieden, was das Risiko für Nebenwirkungen erhöht.
- Krebsmedikamente: Chemotherapeutika wie Doxorubicin und Vincristin sind ebenfalls Substrate des P-Glykoproteins und können daher bei Betroffenen zu verstärkten Nebenwirkungen führen.
- Herzmedikamente: Auch einige Blutdruckmedikamente wie Verapamil und Digoxin werden durch die P-Glykoprotein-Pumpe beeinflusst. Ein vermindertes Ausschleusen kann zu einem erhöhten Nebenwirkungsrisiko führen, insbesondere für den Blutdruck und die Herzfrequenz.
Wie finden Sie heraus, ob Sie betroffen sind?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten herauszufinden, ob man eine Variante des ABCB1-Gens trägt.
- Gentests bei einem Genetiker: Die sicherste Möglichkeit besteht darin, einen spezialisierten Genetiker aufzusuchen, der über eine gezielte Analyse Ihres ABCB1-Gens und weiterer relevanter Gene informieren kann.
- Analyse von Rohdaten von Ancestry-DNA und anderen Anbietern: Wer bereits einen Gentest über Anbieter wie AncestryDNA gemacht hat, kann seine Rohdaten herunterladen und mithilfe von Online-Plattformen wie Genetic Genie oder Promethease analysieren lassen. Diese Plattformen durchsuchen die Daten nach SNPs und geben eine Einschätzung über mögliche Auswirkungen, die das ABCB1-Gen auf die Medikamentenwirkung haben könnte.
- Direkte-to-Consumer-Tests: Einige Anbieter wie 23andMe geben in ihren Gesundheitsreports bereits Informationen über das ABCB1-Gen und dessen Funktion an. Sie bieten eine gute Übersicht über genetische Informationen, allerdings mit einer eingeschränkten Detailtiefe im Vergleich zu einem Test beim Genetiker.
Gut zu wissen
Das ABCB1-Gen spielt eine bedeutende Rolle bei der Wirkung und Verträglichkeit vieler Medikamente. Die genetische Variation im ABCB1-Gen kann beeinflussen, wie gut oder schlecht bestimmte Medikamente vom Körper ausgeschieden werden. Menschen mit bestimmten Genotypen können Vorteile durch intensivere Medikamentenwirkung bei Antibiotika oder Krebsmedikamenten erleben, jedoch auch anfälliger für Nebenwirkungen sein. Gentests und die Analyse von Rohdaten bieten mittlerweile einfache Möglichkeiten, diese genetischen Informationen zu nutzen und so eine personalisierte, sichere und effektive Medikamententherapie zu unterstützen.